Informationsflut und interessegeleitete Kommunikation

Womanwithbublegum

Die vermeintliche Daten- und Informationsflut, die die Lebenszusammenhänge des modernen Menschen zu charakterisieren scheint, bedarf einer kognitiven Anstrengung, um durchdrungen, erlebbar und überhaupt erfahrbar zu werden. Vermittelte Welt – Nachrichten, Berichte, Bilder, Kino, Kunst, Internet,… – tritt also nicht an sich den Individuen gegenüber, sondern als zu interpretierendes Datenkonglomerat. Arnold Gehlen verwendet für die notwendige interpretative kognitive Aktivität den Begriff der “Entlastung”.

 

Zu verstehen sei hierunter eine Aktivität, die innerhalb eines Reizchaos Ordnungen, Zusammenhängen und Regelmäßigkeiten sucht und das Reizchaos auf kulturell konfigurierte Wahrnehmungsmuster reduziert. Dem Individuum präsentiert sich damit eine unkomplexere und gleichzeitig auch stabilere (Reiz-)Welt, mit der ein in zwei Richtungen verlaufender Prozess innerer Teilnahme am Äußeren und äußerer Teilnahme am Inneren charakterisiert werden kann. Mit anderen Worten: Welt wird als Äußeres erfahren und als Erfahrung verinnerlicht. Welt wiederum ist in ihrer Erfahrkeit nicht frei von Erfahrenem. Das soll heißen, dass das, von dem bereits Kenntnis genommen wurde, das noch zur Kenntnis zu nehmende (mit)bestimmt.

Jede interessengeleitete Kommunikation, ob politischer, gesellschaftlicher oder unternehmerischer Natur, muss auf diesem Hintergrund mit einem aus der erwähnten Komplexität leicht resultierenden Widerspruch zurecht kommen: Kommuniziertes, dessen Erfolg mit einer Entlastung von Kommunikationsansprüchen einhergeht, neigt dazu, als Zusätzliches wahrgenommen zu werden und Komplexität zu erhöhen. Die damit verbundene Reiz-Steigerung birgt das Risiko in sich, dass zusätzliche, eigenen Interessen widerstrebende Kommunikationsansprüche verallgemeinert, getilgt oder verzerrt und damit nicht im Sinn des Absenders wahrgenommen werden. Das Streben des “Empfängers” nach (Reiz-)Entlastung steht so dem Interesse des “Senders” nach Kommunikation (seiner Inhalte) im Weg. Dieser Widerspruch wird um so einflussreicher

a.) je weniger die den Menschen zur Verfügung stehenden, jeweils unterschiedlichen Kommunikationskanäle in ihrer spezifischen Funktion eingesetzt werden und
b.) je weniger die Kommunikationsinhalte auf ihre Adressaten zugeschnitten sind.

Die Weisheit, dass eine Katze mit Handschuhen keine Mäuse fängt – falsches Medium! – und dass es schwer ist, einem Eskimo vom Kauf eines Kühlschranks zu überzeugen – falsch zugeschnittener Kommunikationsinhalt -, gilt also auch im digitalen Zeitalter.

Die Herausforderung für eine interessengebundene Kommunikation besteht daher zuerst einmal darin, Konzepte der klassischen, bisher eingesetzten Kommunikationskanäle zu überprüfen, ihre Vor- und Nachteile zur Kenntnis zu nehmen, zu transportierende Inhalte einer medialen Kompatiblitätsprüfung zu unterziehen – unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Medien – und schließlich unter Einbeziehung auch neuer Kanäle überarbeitete Konzepte zu entwickeln und entsprechende Inhalte unter Berücksichtigung eines diversifizierteren Medienspektrums zielgruppenkonform zu kommunizieren.

Kommunikation, unabhängig davon, ob sie unternehmerischer, gesellschaftlicher oder politischer Art ist, bekommt dadurch eine andere Form. Ihr Ziel kann nicht mehr über das einseitige Informations- und Vermittlungsverständnis erreicht werden. Interessegebundene Kommunikation muss zu ihrer Kundschaft, zu den Bürgern und Bürgerinnen und zu ihrer Anhängerschaft in eine Dialog ermöglichende Beziehung treten, die dauerhafter gestaltet ist, um gemeinsame Anliegen und Ziele zu identifizieren sowie Aushandlungs- und Verständigungsprozesse zu praktizieren (Rolke, Sass, 2017: S. 6). Interesssegebundene Kommunikation wird also beziehungsorientierter, flexibler und im Sinne eines nicht mehr nur einseitigen Sender-Empfänger-Verhältnisses offener für die von den Empfängern und Empfängerinnen kommunizierten Ansprüche. Eine daraus resultierende Rücknahme zu kommunizierender Inhalte ist damit jedoch nicht gemeint. Viel mehr geht es in einer modernen, sich als dynamischer präsentierenden Welt darum, Flexibilität und Lernbereitschaft stärker in die eigenen Strategien einzubeziehen und eigene Kommunikationskonzepte mit Hilfe der von “außerhalb” kommenden Ansprüche zu überprüfen und zu optimieren.

Burkhard Heinz
mediatpress®

Datenschutzerklärung alle Rechte vorbehalten / mediatpress®