"Medienbeobachtungen"

Kategorie: Skizzen

  • Ziel

    Orthografische Erbsenzählerei ist etwas, was mir, als (ehemaliger) Rechtschreibschwächling, eher unsympathisch ist. Im Rahmen meiner Arbeit im Bereich Medienbeobachtung gibt es aber immer wieder kleine Bonbons, die wenigstens unterhaltenden Charakter haben. So liegt grade ein Ausschnitt auf meinem Tisch, der aus der in dem im münsterländischen Gronau erscheinenden Wochenblatt mit dem Namen „Hallo Sonntag Northeim” erschienen ist. Der Text erzählt etwas über eine Gruppe von Marathonläufern. Der Artikel ist etwa 250 Worte lang, wird mit einem Foto der für 5 Läufer illustriert und trägt die schöne Überschrift “Weg ist das Ziel”.

  • Verbreitete Auflage

    Bei der Medienbeobachtung erhält der Kunde nicht nur den losen, ausgeschnittenen Zeitung- oder Zeitschriftentext. Nein, er erhält diesen feinsäuberlich ablösbar aufgezogen auf einem so genannten Medienblatt. Das Medienblatt enthält alle die Daten, die durch den “Ausschnitt” verloren gegangen sind – weggeschnitten wurden. Zu den wichtigsten Angaben gehören dabei die Quelle und das Erscheinungsdatum. Nachgewiesen werden aber auch mindestens zwei Auflagenzahlen: die verkaufte und die verbreitete, wobei diese zuletzt genannte immer höher liegt als jene, weil sie neben den verkauften zum Beispiel auch Ansichts-, Beleg- oder Probeexemplare umfasst. Darüber hinaus gibt es Medien, die nur “verbreitet“ werden. Wie etwa die wöchentlich erscheinenden Anzeigen- oder Wochenblätter – im Volksmund auch “Käseblätter” genannt.
    Heute ist mir eine Publikation auf den Tisch gekommen, bei der das Verhältnis zwischen verkaufter und verbreiteter Auflage besonders “interessant” ist: die DLG Lebensmittel. Die verkaufte Auflage gibt die IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) bei dieser, in Frankfurt erscheinenden Fachzeitschrift mit “2” (in Worten: zwei) an, die verbreitete Auflage mit 10.054.

  • Geburtsanzeigen

    Bei der Auswertung von Zeitungen kann man vielerlei zusammentragen. Zum Beispiel Geburtsanzeigen. Man findet sie in aller Regel in der Rubrik “Anzeigen”, aber auch in “Lokales”, “Bekanntmachungen” oder “Sonderveröffentlichungen”. In beinahe poetischer Weise hat die in Niedersachsen erscheinende “Goslarsche Zeitung” ihre Geburtsanzeigen in der vergangenen Woche in der Rubrik “Antworten” veröffentlicht. Mitunter kommt es bei der Zuordnung von Geburtsanzeigen in die Rubrik einer Tageszeitung auch zu Notlösungen: wenn nirgendwo mehr Platz ist, dann können die besagten Bekanntmachungen auch schon mal unter “Fernsehen” veröffentlicht werden. Das war zum Beispiel der Fall bei den Oldenburger Nachrichten vom 10.Juni des vergangenen Jahres. Nun gut, wenn dann in anderen Rubriken kein Platz mehr ist, dann sollte man vielleicht besser eine neue Rubrik erfinden, statt, wie die Ibbenbührener Volkszeitung vom 25. August 2014, Geburtsanzeigen in der Rubrik “An- und Verkauf” zu platzieren. Auch wenn der Billerbecker Anzeiger vom 4. Juli 2014, die Northeimer Neuesten Nachrichten vom 12. April 2014 und die Gronauer Nachrichten vom selben Tag es – um nur einige zu nennen – genauso machen, ein bisschen sehr daneben ist es schon, oder?

  • Ferienspaß

    Fehler macht (fast) jeder. Darüber zu schreiben interessiert nicht – selbst in Fb. Ausnahmen sind Fehler, die, weil sie Anlass zum Denken geben, künstlerischen Charakter haben. Am besten noch, wenn sie öffentlich begangen werden. In der Presse. So liegt grade eben ein Text aus dem Celler Kurier vor mir, in dem es heißt “Ferienpassaktionen 2014 starteten mit Spiel und Spaß”. “FerienPASSaktionen” könnte, denke ich mir, eine interessante Wortschöpfung sein, denn natürlich muss es nicht “FerienPASSaktionen” heißen, sondern “FerienSPASSaktionen”. Gebe ich aber “Ferienpass” in einer Suchmaschine ein, dann fördert der googelsche Algorithmus eine ganze Reihe von Einträgen hervor, die “Pass” – auch als FerienPASS – als eine Art Ausweis verstehen, mit dem man an solchen Veranstaltungen teilnehmen kann, die vor allem in der Ferienzeit für Kinder und Jugendliche organisiert werden. Und genau so verhält es sich auch bei dem Text des Celler Kuriers, der bei näherer Lektüre selbstverständlich auf “FerienPASSaktionen” besteht.
    Wahre Kunst besteht eben doch vor allem in Selbsterkenntnis. Und nur die Rechtschreibprüfung auf meiner Seite zu haben, die “Ferienpassaktion” auch als fehlerhaft rot unterstreicht, ist wenig, aber grad genug, um zugeben zu müssen, dass ich der Blödmann bin.

  • Fortschritt

    Der spanische Cellist Pablo Casals wurde einmal gefragt, warum er mit 90 Jahren immernoch regelmäßig übe. Seine Antwort: Weil ich Fortschritte mache.

  • Sommer

    Im Sommer kommt es immer wieder vor, dass der Cursor sich selbständig macht. Zuerst läuft er einige kurze, vollkommen unberechenbare Strecken, deren Richtungswechsel stets durch sehr scharfe Winkel charakterisierbar sind. Dann verläßt er die flache Scheibe des Bildschirms und landet auf der Schreibtischlampe. Ich persönlich mag dieses Cursor-Fliegen-Verwechslungsspiel gar nicht.

  • Schwedenbombe

    Die LK-Handeszeitung schreibt in ihrer heutigen Ausgabe, dass das österreichische Unternehmen

    Niemetz am 17. Juni 2014 den ersten „Tag der Rettung der Schwedenbombe“ beging, denn nach der nahtlosen Übernahme des insolventen Traditionsunternehmens durch die Heidi Chocolat AG sind im Jahr 2013 an diesem Tag die Schwedenbomben zum ersten Mal unter der neuen Leitung hergestellt worden.

    Ich gebe zu, dass ich mich gefragt habe, was denn eine Schwedenbombe ist. Verräterisch war allerdings das Auftauchen des Wortes “Chocolat” im Text. Schwedenbombe konnte also nichts Böses sein. Schon die Bildersuche im Internet führte zu einem Aha-Erlebnis.

    Niemetz Schwedenbomben Foto: Clemens Fabry

  • Public viewing

    Im amerikanischen Englisch meint „Public Viewing“ etwas ganz anderes als im Deutschen, so die Süddeutsche Zeitung heute. Man könne es nicht oft genug sagen: „public viewing“ bringt man in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht mit nationalfarbig bemalten Menschen vor Großbildleinwän-den in Verbindung, sondern mit dunkel gekleideten Personen vor Särgen, denn das Begriffspaar meint hier nichts anderes als eine Leichenschau.

  • URL

    Eigentlich müsste Hr. Dr. URL – die Abkürzung steht für Uniform Resource Locator und meint die Adresse einer Website –  wegen seines Nachnamens mindestens Berater des neuen Microsoft-Chefs in Sachen Internet oder Google-Vorstandsvorsitzender geworden sein. Ist er aber nicht. Laut heutiger Ausgabe der Fachpublikation Fleischwirtschaft wurde er „geschäftsführender Direktor der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA)”. Mit Vornamen heißt der Mann übrigens Bernhard. Und sein Nachname ist tatsächlich keine Abkürzung.

  • Keks-Etymologie

    Das Wort “Keks” ist eine Erfindung der Firma Bahlsen und geht auf die Eindeutschung des englischen Wortes “Cakes” zurück. Damit wollte Hermann Bahlsen das Gebäck „salonfähig“ machen, so schreibt heute u.a. die Welt. Der Enkel des Firmengründers ist jetzt mit 86 Jahres gestorben.

  • Leer

    Zugegeben: Witze über Ostfriesen gehören in die Zeit als das Internet noch nicht existierte. Gibt es da einen Zusammenhang den ich nicht verstehe? Führt die Domain www.ostfriesenwitze.de deshalb zu einer Website, wo ausgerechnet Werbung für Kaffeevollautomaten gemacht wird, weil in Ostriesland mehr Tee getrunken wird nirgendwo sonst auf der Welt – wenn man Wikipedia glaubt.

  • Nackt

    Zitat: „Nachdem Le Corbusier die Sängerin und Tänzerin Josephine Baker 1929 nackt gezeichnet hatte, forderte er ’neue Bauwerke aus dem Geist ihres Tanzes‘! Charles-Édouard Jeanneret-Gris – so Le Corbusier mit bürgerlichem Namen – war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts.“ (Financial Times Deutschland 14.09.2011)

  • Zwei Seiten

    Dieser Tage habe ich etwas länger mit einem Kunden über einen Ausschnitt korrespondiert. In dem besagten Ausschnitt kam die vereinbarte Suchvorgabe einfach nicht vor. „Schicken Sie den Artikel bitte zurück, Sie bekommen ihn dann gutgeschrieben,“ habe ich gesagt. Was lag näher, als dass der Kunde den Artikel auf seinen Scanner legte und ihn mir per E-Mail zukommen ließ – eine sehr gute Kopie, an der ich eigentlich überhaupt nichts auszusetzen hatte. „Wir benötigen den Originalartikel“, musste ich zurückmailen, „Sie bekommen Ihr Porto natürlich auch erstattet“. 

    Was will mediatpress® denn mit dem Papierausschnitt?, mag sich der Kunde gefragt haben. 

    Auf der Kopie war wirklich alles gut zu sehen: der vollständige Ausschnitt mit Foto, Text und Überschrift, und das Medienblatt mit allen Veröffentlichungsdaten und allen internen Zahlen-Codes, die in Fällen einer Reklamation verständlicherweise etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Aber, wie gesagt, dafür war die Kopie allemal genauso geeignet wie das Original. 

    Aber trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen der Kopie und dem Original. Es geht dabei nicht um, sagen wir mal, „zeichentheoretische Aspekte“. Es geht um so etwas simples wie die Vorder- und Rückseite eines bedruckten Sücks Papier. Denn genau lag der Grund für die Reklamation: der für den Kunden bestimmte Zeitungstext befand sich nämlich nicht, wie es sich gehört, auf der Vor-, sondern, für den Kunden nicht sichtbar, auf der Rückseite des Ausschnitts. 

    Die Lektorin hatte die mit dem Kunden vereinbarte Suchvorgabe gefunden und korrekt markiert. Im Schnitt – hier werden die Zeitungen und Zeitschriften den Markierungen folgend auseinander geschnitten – hat die Cutterin zwar auch den markierten Zeitungstext richtig ausgeschnitten, aber nicht bemerkt, dass auf der Rückseite der besagten Zeitungsseite – exakt an der selben Stelle – ein zweiter, vollständiger Zeitungsartikel abgedruckt war, den die Cutterin, ohne es zu wissen, ebenfalls aus der Zeitung herausgeschnitten hatte. Als das perfekt sowohl auf Vorder- wie auf der Rückseite bedruckte Papier dann auf das Medienblatt – hier befinden sich alle Erscheinungsdaten wie Quelle, Datum, Auflage…. – aufgezogen wurde, sind Vorder- und Rückseite vertauscht worden und der Kunde erhielt seinen Ausschnitt ohne ihn wahrnehmen zu können. 

    Als der reklamierte Ausschnitt bei mir ankam, brauchte ich also nur noch das Clipping vom Medienblatt abzulösen, ein neues Medienblatt zu erstellen, das Clipping umzudrehen und neu aufzuziehen, die Berechnung des Ausschnitts auf Null zu setzen und mich beim Kunden für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.

  • Suppenwürfel

    „Suppen-Hersteller Zamek stellt Insolvenzantrag“, so meldet heute u.a die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Und läßt dabei nicht unerwähnt, dass der heutige Mehrheitsgesellschafter Bernhard Zamek ein Enkel des gleichnamigen Firmengründers und – jetzt kommt es – Erfinder des Suppenwürfels ist.

  • Und?

    Was ist der Unterschied zwischen der Redaktion der Südthüringer Zeitung Bad Salzung aus Thüringen und der Redaktion der Badischen Zeitung Ettenheim aus Baden-Württemberg? In beiden Medien hat man unterschiedliche orthographische Vorstellungen. Die von DPA verbreitete Meldung wird in der Südthüringer Zeitung “Apps helfen beim Hobbygärtnern beim Säen, Gießen, Ernten” betitelt, während die Badische Zeitung in Kleinschreibung titelt “Apps helfen beim Hobbygärtnern beim säen, gießen, ernten”. In der an die Redaktionen versendeten DPA-Meldung war leicht abgewandelt zu lesen gewesen “Säen, gießen, ernten: Mit diesen Apps blühen Hobbygärtner auf”. Und? Redaktionelle Freiheit?