Pressemitteilungen in den Händen eines Medienbeobachters

Nachdem wir den Auftrag für eine Medienbeobachtung erhalten, werden wir oft in den Presseverteiler der Kunden aufgenommen. Das ist manchmal sinnvoll. Wir lernen den Namen, nach dem gesucht werden soll, auf diese Weise besser kennen. Wie Pressemitteilungen (PM) verfasst werden, darüber lernen wir auch eine Menge. Sowohl in Bezug auf die Formulierungen, Stil und Aufbau, wie in Zusammenhang mit dem Erfolg, den eine PM hat. Es ist schließlich unsere Aufgabe danach zu sehen, wo eine Pressemitteilung überall veröffentlicht wird.

Grade liegt eine Pressemitteilung vor mir, die sich mit einem Gesetzesvorhaben auseinandersetzt. Die Zukunft des hinter der Pressemitteilung stehenden Unternehmens hängt offensichtlich von der Verabschiedung dieses Gesetzes ab.

Der Text umfasst drei Seiten. Er nennt mehrmals den etwas kryptischen Namen des ungewollten Gesetzes und fokussiert sich auf die Aufzählung seiner Nachteile und Unzulänglichkeiten. Die Überschrift der Pressemitteilung beginnt mit einem in Großbuchstaben gesetzten “NEIN”.

Für meinen Geschmack ist die PM viel zu negativ. Der Text ist schwer zu lesen. Es gibt zu viele lange Sätze. Positive Aussagen gibt es keine. Von der gegenwärtigen Situation, die das fragliche Unternehmen gerne unverändert beibehalten möchte, wird überraschenderweise gar nicht gesprochen.

Meine skeptische Haltung wird von unserem Algorithmus bestätigt. Er gibt dem Text schwache 38.1 Punkte und bemängelt ebenfalls die Satzlängen. Außerdem wird von der Maschine ein zu kompliziertes Vokabular beanstandet. Angesichts der Länge der Pressemitteilung, so der Algorithmus, sollte mit Zwischenüberschriften gearbeitet werden. Die einzelnen Absätze sollten darüber hinaus kürzer sein. Nur 6.2% der Sätze enthalten Bindewörter, merkt die digitale Auswertung an. Das abschließende Urteil der Maschine gibt zu denken: der Text der Pressemitteilung sei für eine Veröffentlichung ungeeignet.

Ganz so streng würde ich persönlich das nicht sehen, aber die vielen negativen Eigenschaften der Pressemitteilung verheißen nichts Gutes. Weder für den Text, noch für das Unternehmen. Und tatsächlich ist es so, dass sich in der ersten Woche nach der Presseaussendung keine Zeitungsredaktion des Textes annimmt und ihn veröffentlicht. Zu hoffen ist, dass wenigstens die Fachzeitschriften positiver reagieren.

Schade für uns, die wir dem Kunden bei dieser Kampagne erstmal keine Ergebnisse werden liefern können; schade für den Kunden, der seine Strategie wird ändern müssen, um sein Anliegen erfolgreicher den Leserinnen und Lesern vorzutragen.

(Dieser Text hat laut Algorithmus zu viele passive Sätze. Mit 52,5 Punkten liegt seine Lesefreundlichkeit im mittleren Bereich. Die Maschine lobt die Absatz- und Satzlängen und die Anzahl der verwendeten Bindewörter. Glück gehabt!)

Burkhard Heinz
mediatpress®

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